Tag 25: Kigali – Butare (Huye)

Nach einem tollen Frühstück auf der Hotel-Terrasse mit Ausblick auf Kigali starten wir gegen 10:40 wieder die Motoren. Wir fuhren zunächst zum Hotel Mille Collines besser bekannt als „Hotel Ruanda“ aus dem gleichnamigen Film, den wir sehr empfehlen können, um einen Eindruck vom Genozid 1994 mit ca. 1mio Todesopfern innerhalb von 100 Tagen zu bekommen.

Vor der Befahrung des Parkplatzes werden unsere Fahrzeuge von den Sicherheitskräften streng kontrolliert. Mit einem Spiegel wurde auch der Unterboden der Fahrzeuge kontrolliert. Am Hoteleingang mussten wir in der Sicherheitsschleuse alle Taschen leeren und konnten dann den Blick über den Pool und die Hotelanlage schweifen lassen.

Die meisten von uns hatten den Film gesehen und kannten die Geschichte von Paul Rusesabagina, dem ruandischen Oskar Schindler. Als der europäische Hotelmanager aufgrund der sich zuspitzenden Sicherheitslage ausgeflogen worden war, wurde Rusesabagina als Manager eingesetzt. Innerhalb von Tagen nach Beginn des Völkermordes hatten sich viele Tutsi in das Hotel geflüchtet. Der neue Manager ließ das Wasser aus dem Pool zum Trinken abschöpfen, nachdem die Hutu die Wasserleitungen gekappt hatten und das Hotel belagerten. Immer wieder drangen auch Hutu-Milizen mit ihren Macheten in das Hotel ein. Aber durch Verhandlungen bei Ausgabe von Whiskey und anderem Schnaps an die Führer der Milizionäre, konnte Paul Rusesabagina die Flüchtlinge weitestgehend beschützen und rettete – bis die RFP einmarschierte – 1.268 Ruandern das Leben.

Der Genozid begann am 7. April 1994, nachdem das Flugzeug des amtierenden Hutu-Präsidenten und des Präsidenten von Burundi an Bord von einer Rakete bei Kigali abgeschossen wurde. Dieser Abschuss wurde den Tutsi in die Schuhe geschoben und von den Hutu als Vorwand genutzt, um das große Abschlachten der Tutsi sowie von oppositionellen Hutus auszulösen.

Nur Stunden nach dem Abschuss startete der Völkermord. Man geht davon aus, dass der Völkermord von langer Hand geplant worden war, da innerhalb von Stunden Straßenbarrieren aufgebaut, Befehle von oben bis in die Gemeinden gegeben und die Menschen flächendeckend an Ort und Stelle umgebracht wurden. Das große Massaker wurde hauptsächlich mit Macheten durchgeführt. Am 8. April ermordete man die Premierministerin zusammen mit den 10 Blauhelmsoldaten, die zu ihrem Schutz abgestellt worden waren. Wie spätere Untersuchungen zeigen, hatten extremistische Hutu den Anschlag durchgeführt.

Sie waren gegen das Friedensabkommen der Hutu und Tutsi von Arusha 1993, in dem Zugeständnisse zur Einführung eines Mehrparteien-Systems und für die Abschaffung des ethnischen Personalausweises gemacht wurden. Das Abkommen war auf internationalen Druck nach Einmarsch der RFP (Rwandan Patriotic Front) aus Uganda zustande gekommen. Die RFP kämpfte für die Einführung der Demokratie und das Ende der Rassengesetze zur Unterdrückung der Tutsi. Die Umsetzung des Abkommens sollte durch die UN-Mission UNAMIR beobachtet werden. Aber die UN-Soldaten wurden nach der Hinrichtung der 10 Blauhelme abgezogen. Lediglich der kanadische Befehlshaber Dallaire weigerte sich, zuzuschauen und verblieb mit ca. 270 Blauhelmsoldaten im Land, allerdings nur ausgerüstet für eine Beobachtermission – nicht für den Kampfeinsatz.

Die Welt schaute einfach weg. Die RFP eroberte das Land in einem erbitterten Kampf und vertrieb die Regierungssoldaten und viele Hutu-Schlächter in das damalige Zaire – heute Kongo. Fast 30 Jahre ist der Völkermord her. Nahezu jede Familie war von dem bestialischen Morden betroffen. Die dichte Polizeipräsenz mit Kalaschnikow-Bewaffnung deuten wir als Notwendigkeit, um keinerlei Raum für negative Entwicklung zu geben. Die Worte Hutu und Tutsi sind nahezu aus dem Sprachgebrauch gestrichen – es gibt nur Rwanda. Dass die Welt weggeschaut hat, versucht sie durch eine Art Ablasshandel mit vielen Hilfs- und Unterstützungsprojekten wieder wettzumachen. Wir sehen Projekte mit Finanzierung aus China und Japan, aus Europa, aber auch USA und Kanada. Aber nur durch schnelle und flächendeckend positive Entwicklungen lässt sich ein komplettes Land nach einem derartigen Massaker in einem dauerhaften Frieden stabilisieren.

Nach dem Besuch des „Hotel Ruanda“ fahren wir weiter zum Campaign against Genocide Museum im Parlamentssitz von Ruanda. Bei der Einfahrt werden unsere Fahrzeuge streng kontrolliert. Türen, Motorhaube und die Schubladen unserer Einbauten müssen geöffnet werden. Das Militär ist – im Gegensatz zur Polizei – mit dem amerikanischen Sturmgewehr M16 ausgerüstet. Nach der Einfahrt fahren wir weiter zum Parlament. Die Einschusslöcher aus dem Befreiungskampf wurden nicht verputzt – auf dem Dach ist ein MG-Nest nachgebildet. Das integrierte Museum zeigt Szenen und Geschichten des Völkermordes und des Befreiungskampfes der RFP. Das brutale Abschlachten von 1 Million Menschen ist für uns unvorstellbar – die Bilder sind grausam und erschreckend. Wenn wir in die eigene Geschichte schauen wissen wir aber auch, zu was Menschen fähig sind.

Dann geht es nach dem Auffüllen unserer Proviantvorräte, Diesel und abermaligem Ölen und Ausblasen der Fahrzeugschlösser im Tausch gegen ein Team-Shirt gen Süden. Auf der Fahrt sehen wir viele Fußgänger am Straßenrand. Viele fröhlich winkend und bunt gekleidet, aber wir blicken auch in Gesichtsausdrücke, die uns an den Film „Hotel Ruanda“ erinnern. Verkrüppelte Menschen, Ältere mit verhärmten Gesichtern im Straßenbild, viele Gedenkstätten – der Genozid und seine Folgen sind präsent.

Auf dem Weg sehen wir fruchtbare Böden, Reisfelder bis zum Horizont. Die Gegend wird bei Tageskilometer 130 etwas ärmlicher. Nach einer Fahrzeit von ca. 3 Stunden erreichen wir unser heutiges Tagesziel: Butare (Huye). Die Eindrücke des heutigen Tages wirken bei uns nach. In der Bar unserer Unterkunft lernen wir Daniel kennen. Er hat einen Bachelor in Mathematik und Physik, arbeitet als Lehrer. Viele unserer offen Fragen zum Genozid und der Demokratie in Ruanda können wir mit ihm besprechen.